Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte

QFRG 69 - Zwischen der Offenbarung des Antichrist und dem jüngsten Tag

V. Leppin, Gütersloh 1999, € 39,95

Die Arbeit geht von der Beobachtung aus, dass in der Flugschriftenliteratur der Konfessionalisierungszeit Apokalyptik insbesondere bei Lutheranern gepflegt wurde. Sie plädiert vor diesem Hintergrund - gegen Erklärungen aus einer allgemeinen Krisenhaftigkeit der Zeit - für eine betonte Einbeziehung der konfessionellen Perspektive in die Deutung des Phänomens der lutherischen Apokalyptik. Vor diesem Hintergrund erscheint als entscheidender Anstoß für eine apokalyptische Zeitbestimmung im Luthertum die Offenbarung des Papstes als Antichrist, die geradezu zu einem identitätsstiftenden Datum des Luthertums wird. Dieser theologischen Ableitung aus einer konfessionellen Besonderheit entspricht ein besonderer funktionaler Gewinn der apokalyptischen Botschaft: Durch sie konnten lutherische Prediger, denen ekklesiologisch die Kirchenzucht weniger plausibel war als Katholiken oder Reformierten, zur Buße mahnen und so letztlich durch Norminternalisierung parallel zur staatlichen Sozialdisziplinierung angemessenes Sozialverhalten einfordern.

Dieser auch in Predigten darstellbare theologische Zusammenhang gerät durch Abfassung und Druck von Flugschriften in einen weiteren Kontext: Unter den vielfältigen Orientierungsangeboten über das Ergehen in der Zeit dominierten astronomisch-astrologische Texte und Bilder. Die lutherischen Apokalyptiker machten von solchen Deutungsmustern - gerade auch in einer von Melanchthon herkommenden Traditionslinie - durchaus regen Gebrauch, stellten aber zugleich ein konkurrierendes Orientierungsangebot daneben und dagegen, das der betont konfessionellen Ausrichtung dienen sollte.

Die Apokalyptik wird damit als eine Erscheinung, die nicht als eigenartige Sonderentwicklung gedeutet werden darf, sondern in der sich lutherische Grundaussagen artikulieren und sich auf Lebenswirklichkeit und Lebenserfahrung der Menschen beziehen.